Geschichte der Digitalisierung aus Sicht eines Ü50

Geschichte der Digitalisierung aus Sicht eines Ü50

Ist die Digitalisierung disruptiv oder nur ein Hype?

Ein langer Blick zurück und ein kurzer nach vorne im September 2017

Noch 1983 erledigten wir unsere Programmieraufgaben mit Lochkarten. Diese liessen wir nach dem Ausstanzen der Reihe nach durch den Auswertungs-„Computer“ rattern. Kurz  vor meiner Matura wurde dieser durch den allerersten und einzigen Apple Macintosh der Schule ersetzt.

Dieser Mac von damals hatte 128KB Arbeitsspeicher, die heutigen MacBooks haben 125,000 Mal mehr. Die Prozessorgeschwindigkeit eines Laptops beträgt das Fünfhundertfache dieses ersten Mac.

Der erste Mac hatte noch keine Festplatte. Das Betriebssystem passte auf eine 400 KB Floppy-Disk – ein heutiges iPhone braucht für den Minimalbetrieb rund 13,000 Mal mehr Speicherplatz.

1985 lebte ich in den USA und bestaunte die Geschäftsleute mit Ihren Motorola Handys. Für meine Kommunikation nach Hause nutzte ich das Telefax, das in der Schweiz erst zögerlich den Telex ersetzte. Das Telefonieren war mit 10 USD pro Minute schlicht zu teuer. Heute facetimen und chatten wir gratis.

Der Siegeszug des PC hat in den frühen 80ern eingesetzt und unser digitales Leben nachhaltig verändert. Es folgte eine Zeit der Weiterentwicklung von Speichern und Prozessoren und von zunächst lokalen Netzwerken. Erst die Einbindung der Wirtschaft in das bald 30-jährige Internet markierte den nächsten Beschleunigungspunkt in die Welt, wie wir sie heute kennen.

Das www (1991) ermöglichte es mir Anfang der 90er über das Telnet-Protokoll Word Dokumente auszutauschen. Dies war allerdings mühsam und dauerte für wenige Seiten gut 20 Minuten.

1993 realisierte ich die erste Photovoltaikanlage auf einem Neubau und ich konnte mit meinem Natel D von Nokia erstmals richtig mobil telefonieren. Meistens natürlich ins Festnetz, es hatte damals noch kaum jemand ein Mobiltelefon.

Etwa um die gleiche Zeit stiegen wir mit unseren Architekten in die Neuzeit ein. Wir kauften eine CAD Software und fortan wurden Bauten digital gestützt geplant. Schon damals war das ein Ansatz von Building Information Modelling. Es dauerte allerdings Jahre, bis das ganze Team mit den Planungstools umgehen konnte.

Ab Ende 1994 wurde dann auch für mich die Nutzung des Internet verständlich. Der Netscape Navigator stand als erster Web-Browser zur Verfügung und erreichte in kurzer Zeit 90% Marktanteil. Im gleichen Jahr, im Juli 1994, hat Jeff Bezos Amazon.com gegründet.

Fortan konnte ich unser Immobilienangebot im Internet publizieren. Die Webseiten musste ich selbst programmieren. Im September 1995 startete ebay und veränderte den e-commerce.

1997 habe ich meine erste Wohnung übers Internet verkauft. Der ganze Prozess verlief digital, inklusive die Auswahl des Ausbaus. Den Käufer habe ich nie persönlich kennengelernt.

Im gleichen Jahr ging immoscout24.ch an den Start. Bereits1996 wurde der erste Schweizer Immobilienmarktplatz immopool.ch gegründet. Dieser ging 2001 in der heutigen Homegate auf.

Im März 2000 ist die Internetblase geplatzt. Eine wichtige Errungenschaft aus dieser Zeit ist die heute verfügbare globale Kommunikationsinfrastruktur. Firmen wie die 1997 gegründete Global Crossing überzogen die Welt mit einem Glasfasernetz. Global Crossing hat das nicht überlebt.

Diese Breitbandnetze und das seit 1996 kommerzialisierte Cloud Computing ermöglichten es, dass sich der Trend zum Outsourcing und zum Offshoring beschleunigte. Es war nun möglich, die Arbeit rund um die Welt zu verteilen und von den Lohndiskrepanzen zu profitieren.

Etwa in die gleiche Zeit fällt die Verbreitung der OpenSource Bewegung. Mit Open Source demokratisierte sich das Programmieren und die Zahl der Applikationen (Apps) stieg exponentiell.

Eine weitere Demokratisierung erlebten wir mit dem Web 2.0. Neu konnten alle selbst Inhalt produzieren und diesen nicht nur von ein paar Wenigen beziehen. Ein prominentes Beispiel der ersten Stunde ist Wikipedia, das am 15. Januar 2001 an den Start ging.

Mit dem Anstieg der Datenmenge entwickelten sich die CRM Applikationen. Ab ca. 1997 gingen heute bekannte Firmen wie People Soft oder ihre heutige Mutter Oracle an den Start. 1999 wurde Salesforce.com gegründet und 2004 kamen die erste Open Source SugarCRM und danach SAP dazu.

Eine der prominentesten Entwicklungen des Web 2.0 ist facebook. Von 2004 bis 2006 war facebook nur für Harvard Studenten zugänglich. Seit 2012 ist facebook börsenkotiert und heute unter anderem Eigentümerin von Instagram und Whatsapp. 27% der Weltbevölkerung sind aktuell mindestens ein Mal monatlich auf facebook.com. Zu facebook gehört auch Oculus, ein auf Virtual Reality spezialisiertes Unternehmen, das wir auch in der Immobilienwelt wieder antreffen werden.

Nicht vergessen dürfen wir LinkedIn. Dieses ging schon 2003 online. LinkedIn gehört seit 2016 zu Microsoft. Wie auch Skype, das ebenfalls 2003 veröffentlicht wurde. Microsoft hat Skype 2011 von eBay übernommen.

Google kennt jeder! Google wurde 1998, vier Jahre nach Yahoo!, gegründet und ging 2004 an die Börse. Google beschäftigt heute fast 60,000 Mitarbeiter. Die Muttergesellschaft Alphabet notiert aktuell mit einer Marktkapitalisierung von über  600 Milliarden hinter Apple und vor Microsoft. Für uns Immobilienfachleute interessant ist neben den vielen digitalen Helfern auch die Tatsache, dass sich Alphabet vermehrt in den Häusern breit macht, unter anderem mit Klimasteuerungen und Überwachungssystemen von Nest.

Auch die Schweizer Immobilienszene stand in der Zeit der Jahrtausendwende an einem  Wendepunkt. Damit meine ich nicht den Superzyklus der Immobilienpreise, der kurz nach 2000 seinen Anfang nahm. Vielmehr bildete sich mit der Discounted Cashflow Methode ein neuer Standard in der Immobilienbewertung, an dem heute kein seriöser Bewerter mehr vorbeikommt.

Zwischen Ende der Neunziger bis zur Finanzkrise lag wohl der Zeitraum, in welchem das, was wir heute Digitalisierung nennen, so richtig Fahrt aufgenommen hat. Nicht unwesentlich: In diese Zeit fällt auch die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms (April 2013).

Gleichzeitig hat sich das Web 3.0 etabliert. Web 3.0 bezeichnet die semantische, maschinenlesbare Verarbeitung der Inhalte im www. Das heisst, ab diesem Zeitpunkt verstanden und ergänzten die Maschinen das, was wir alle im Web 2.0 geposted haben. Wie wir alle seit den letzten Wahlkämpfen wissen, posten die Maschinen inzwischen selbst.

2007 ist das iPhone geboren. Diese Geschichte kennst du. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass es Apple als erstes Unternehmen geschafft hat, basierend auf einem physischen Produkt ein digitales Ökosystem aufzubauen. iTunes und iCloud mit seinen Apps und dem Appstore sind heute Standard und Umsatztreiber und wurden von Google, Samsung oder Microsoft kopiert. Rückblickend ist es selbstredend, dass dieser Entwicklung viele bis dahin erfolgreiche Unternehmen zum Opfer fielen.

Wir sind also alle schon längst auf dem Digitalisierungspfad. Es wird davon ausgegangen, dass bereits im Jahr 2010 über 95% der technologischen Informationskapazität digital war.

Diese Verbindung von physischer Existenz mit dem digitalen Universum, das verstehe ich unter Digitalisierung. Diese zu einem Ökosystem verschmolzenen zwei Welten interagieren und kommen ohne einander nicht aus; auch wenn sie sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten entwickeln.

Auch Amazon geht wieder zurück in die physische Welt und eröffnet reale Läden. Apple tut dies seit Beginn der 2000er Jahre mit seinen Apple Stores und auch die Nespresso Kapseln können wir heute vom realen Gestell nehmen. Die richtig fetten Umsätze generieren die meisten Unternehmen aber im Netz. Schon 2015 hat Amazon.com’s Marktkapitalisierung diejenige des bis dahin weltgrössten Retailers Walmart übertroffen und ist heute rund doppelt so hoch.

Was würde aber eine digitale Plattform wie Uber ohne Autos tun und was könnte Airbnb ohne physische Häuser vermitteln? Auch Tesla verpackt seine Software in Autos und benötigt für Solar City Strombezüger und Batterien aus der realen Welt. Auch das Geschäftsmodell von ebay wäre latent in Gefahr, wenn es nichts mehr zum Tauschen gäbe.

Andere Unternehmen gehen den gegenläufigen Weg, sie ergänzen ihr physisches Angebot mit virtuellen Offerten, wie z.B. die Glarner Kantonalbank mit Hypomat.ch. Ob sich die Schweizer Twint gegen globale Anbieter wie ApplePay, Alipay oder WeChat durchsetzen wird, das wird sich noch zeigen. Twint‘s Vorteil ist die lokale physische Präsenz und der bisherige Kundenstamm, sein Nachteil ist die aktuelle Beschränkung auf die im globalen Ökosystem unwesentliche Schweiz (globale Partnerschaften sind angedacht).

All den digital agierenden Unternehmen ist eines gemein: Sie sind Datenstaubsauger. Zuerst wird gesammelt, dann gejagt.

300 Stunden Videos werden jede Minute auf Youtube hochgeladen. 200 Millionen voice messages und 250 Millionen video messages werden täglich über WhatsApp versandt, 34 Milliarden Nachrichten werden täglich empfangen. Auf der Schwester Instagram wurden schon fast 40 Milliarden Fotos geteilt; täglich kommen 52 Millionen dazu. Und all‘ diesen Daten werden Informationen zur weiteren Verwendung entzogen.

Zunehmend generieren wir auch Daten in der physischen Welt. Mit dem Internet of Things gehen wir noch mehr in die Tiefe. Schon seit Anfang der 90er verknüpfen wir reale Dinge mit dem Internet. Bis ins Jahr 2020 sind wohl mindestens 30 Milliarden Dinge mit dem Internet verbunden. All‘ diese Dinge können grundsätzlich miteinander kommunizieren. Alles, was sich mit einer IP Adresse vernetzen lässt, ist ein Ding: Der Briefkasten, der Wasserhahn, die LED Leuchte, mein Tesla, meine Drohne, meine Apple Watch.

Aus diesen Sensoren und unseren Bewegungen im Netz werden Daten gewonnen, die insgesamt so mächtig sind, dass wir Sie Big Data nennen. Big Data zu strukturieren ist heute unmöglich. Deshalb wurden Algorithmen entwickelt, die aus Big Data Muster ableiten und daraus verwertbare Analysen erstellen, die uns nicht nur aktuelles Verhalten erklären sondern auch zukünftiges Handeln und sogar das Dasein voraussagen.

Auch der Immobilienbereich profitiert von solchen Analysen, zum Beispiel mit „Predictive Maintenance“. Fehler werden behoben, bevor sie auftreten. Es wird also immer unwahrscheinlicher, dass wir im Lift stecken bleiben.

Ihr kennt das aus Eurer Suche im Web. Kaum hast du die ersten Buchstaben eingetippt, kommt schon der Vorschlag des Resultats, inklusive passender Werbung. Dahinter steckt „AI“, also künstliche Intelligenz.

Diese Intelligenz wird immer rascher immer intelligenter. Kognitive Systeme verarbeiten heute nicht nur alle möglichen Signale, sie sind auch in der Lage, zu urteilen, selbst zu lernen, sich neuronal zu entwickeln und mit uns zu interagieren. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass du heute zuerst mit einem Bot anstatt mit einem Menschen sprichst, wenn du ein Call Center anrufst.

Und genau das macht uns Angst!

Wir können nicht mehr sicher sein, ob wir Real News oder Fake News konsumieren. Stell dir einmal vor, du stehst vor deinem Fake Arzt oder lebst eine Fake Beziehung!

Schon längst sind wir eingebunden in ein digitalreales Ökosystem, aus dem wir uns mit Offline-Ferienerlebnissen zu entziehen versuchen. Was hätten wir vor 10 Jahren gedacht, wenn uns Schweiz Tourismus „Digital Detox“ Urlaubsangebote unterbreitet hätte…?

Alles wird Smart. Smart Homes, Smart Grids, Smart Energy, Smart Cities oder Smart Government sind nur einige Begriffe, die in der Gesellschaft die Angst wecken, die Kontrolle zu verlieren.

Die reale, physische und die digitale Welt fliessen immer mehr und immer rascher in einander. Viele leben bereits mit je einem Fuss in beiden Welten. „Dont‘ leave my world“ hat WeChat bereits 2011 zum Claim gemacht – und damit meinte WeChat nicht die physische Welt.

Eine grosse Aufgabe wird es sein, den kommenden Generationen die Werte unserer physischen Gesellschaft zu vermitteln. Diese Generationen werden nicht nur in die Technologie hineingeboren. Es ist für sie auch völlig normal, dass sie über Daten gesteuert werden, auch ihre eigenen.

Die Mobilität der Zukunft wird für sie keine Veränderung sein sondern Alltag. Wir Ü50er müssen unsere geliebten Autos aufgeben, schon die Millenials besitzen keins mehr und die Nachfolgegenerationen werden gar nicht mehr verstehen, weshalb ein Gerät, das einen von A nach B bringt, nicht einfach vorfährt, wenn man es braucht.

Eine Welt ohne Parkplätze, weil niemand mehr parkt? Wieso nicht, das eröffnet ganz neue Möglichkeiten für Stadtplaner.

Auch die Arbeitswelt wird sich verändern. Künstliche Intelligenz übernimmt zunächst die repetitiven Arbeiten, danach werden sich vernetzte Systeme Schritt für Schritt weiterentwickeln, lernen und komplexere Aufgaben erledigen.

Im Immobilienbereich verändert das zunächst die Bewirtschaftung, denn vieles von dem, was wir heute händisch und vor Ort machen, kann im virtuellen Raum und in digitalen Prozessen, z.B. über eine Blockchain, abgewickelt werden.

Auch der Bau und der Betrieb werden sich transformieren. Building Information Modelling (BIM) ist heute keine Hexerei mehr, bedarf aber des Umdenkens und der Ausbildung. Insbesondere das ausführende Gewerbe steht hier noch vor grossen Herausforderungen.

Wir sind heute mit völlig neuen Themen konfrontiert, denen wir uns annähern müssen. Nicht nur die Logistik von morgen wird eine andere sein. Der Einsatz autonomer, vernetzter Drohnen zur Bautenanalyse ist serienreif. Auch der 3D-Druck wird uns Möglichkeiten eröffnen. Diese sind nicht mehr Science Fiction, müssen sich aber noch etablieren.

Wir werden auch neue Chancen wahrnehmen können. Wenn wir uns weiter digitalisieren, gibt es eigentlich keinen Grund mehr für ein Offshoring von Arbeitsplätzen. Digital ist überall gleich teuer – wir können uns also unsere outsourcten Arbeitsplätze auch wieder nach Hause holen.

Wir sollten uns darauf einstimmen, dass weitere Entwicklungen rascher eintreten als wir uns das bisher gewohnt sind. Wir werden uns in Zukunft auch damit auseinandersetzen, dass wir in der Technologie einen ebenbürtigen Partner anerkennen müssen.

Bis dahin hoffe ich, dass wir als Gesellschaft die richtigen Entscheidungen treffen, die uns Menschen das beibehält, was uns – notabene in einer friedlichen Welt – bisher einzigartig macht.

Weshalb ist diese Geschichte für die Immobilienbranche und die Schweizer Wirtschaft relevant?

Die Immobilienwerte in der Schweiz betragen etwa das Dreifache aller im SMI enthaltenen Unternehmen. Die Immobilienwirtschaft trägt zwischen 10% und 15%  zum BIP der Schweiz bei. Es ist also wichtig, dass wir uns mit diesen Entwicklungen auseinandersetzen.

  1. Die Immobilien- und die Baubranche müssen von der physischen Welt rasch einen Schritt ins digitale Universum unternehmen, sonst tun das andere für sie

  2. Ganz banale Themen wie Lage, Nutzung und Ausstattung von Immobilien sind direkt von der Digitalisierung betroffen. Starre Investitionen werden von flexiblen Terabytes unterlaufen

Wir kommen auch nicht darum herum, uns im Rahmen der Digitalisierung selbst zu transformieren und unsere Partner darin zu unterstützen, die digitale Transformation erfolgreich zu meistern. Die durchschnittliche Lebenserwartung einer Top 500 Firma beläuft sich nämlich auf gerade noch 15 Jahre.

Freuen wir uns auf die Zukunft!

Sämtliche Informationen zu diesem Artikel wurden dem www entnommen, sofern es sich nicht um eigene Quellen handelt.

Stichtag des Informationsbezugs: 29.08.2017; Standort Schweiz

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